Gundeldingerstrasse 370
Basel
mit:
- Dr. Aline Masé, Leiterin Fachstelle Sozialpolitik Caritas Schweiz
- Dr. Ueli Mäder, em. Professor für Soziologie Universität Basel
- Dr. Christoph Eymann, Präsident Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe
- Dr. Claudia Hänzi, Leiterin Sozialamt Stadt Bern
Moderation: Dr. iur. Roland Plattner, Jurist, Vorstand Mensch im Recht
Im Anschluss sind die Teilnehmenden zu einem Apéro eingeladen.
Freier Eintritt, Kollekte.
Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Menschenrechte, wo es weh tut“, in Zusammenarbeit mit dem Forum für Zeitfragen
Kurzfassung
Die Schweiz hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat entwickelt. Als Sozialstaat gilt ein Staat, der in seinem Handeln als Staatsziele soziale Sicherheit und Gerechtigkeit anstrebt, um die Teilhabe aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten. Entsprechend heisst es in der Präambel zur Schweizerischen Bundesverfassung, dass «die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen». Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Jahr 2020 über 15 Prozent der Schweizer Bevölkerung als armutsgefährdet galten, Tendenz steigend. Armut bleibt in unseren Breitengraden aus Gründen wie der Furcht vor Stigmatisierung und der Scham der Betroffenen weitgehend unsichtbar. Wie geht dies mit den Grundrechtskatalogen und den Ansprüchen auf Wahrung der Menschenwürde, der Rechtsgleichheit, Chancengleichheit u.a. zusammen? Oder anders gefragt: Kann sich die Schweiz als eines der reichsten Länder auf der Welt überhaupt Armut leisten? Diesen Fragen wird in vier Inputreferaten und einem Podium nachgegangen.
Langfassung
Damals: Die Schweiz ist als reiches Land heute glücklicherweise von gravierender materieller Armut verschont. Das war nicht immer so: Der sogenannte Pauperismus, die Verelendung grosser Bevölkerungsteile, bildete im 19. Jahrhundert auch für Menschen aus der Schweiz die Ursache von Migration. Und die Verarmung der Arbeiterschicht war international eine sehr ernstzunehmende Thematik. Die öffentlichen Hände haben sich derselben ursprünglich nicht angenommen und die Linderung der Not für von Armut betroffenen Menschen privater Initiative überlassen, wie beispielsweise den zu jener Zeit gegründeten sogenannten Armenerziehungsvereinen.
Heute: Im Strassenbild der Gegenwart stösst man in der Schweiz nur noch eher vereinzelt und an speziellen Orten auf Bilder von Menschen, die in grosser Armut leben. Die Schweiz hat sich über verschiedene Stufen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Sozial- bzw. Wohlfahrtstaat entwickelt, der durch einen breiten Schutz vor sozialen Risiken charakterisiert wird. Fakt ist indes, dass auch in der Schweiz ein erheblicher Teil der Bevölkerung von Armut betroffen oder gefährdet ist. Als von Armut betroffen gilt, wer mit seinem Einkommen nicht den Lebensstandard des Wohnlandes erreichen kann. Im Jahr 2020 lebten in der Schweiz 8.5% oder 720’000 Menschen als Armutsbetroffene unter der absoluten Armutsgrenze gemäss SKOS-Richtlinien (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe), 3.2% oder 272’100 Personen als Sozialhilfebeziehende. Als armutsgefährdet galten 15.4% oder 1’307’700 Menschen. Unter anderem aus Gründen wie Furcht vor Stigmatisierung und Scham bleibt diese Armut oft weitgehend unsichtbar. Viele armutsbetroffene Menschen verzichten gar aus den erwähnten Gründen oder Angst vor Nachteilen auf ihnen zustehende staatliche Hilfeleistung. Die Pandemie verschärfte ihre Situation zusätzlich, und wie sich die digitale Transformation diesbezüglich manifestieren wird, darüber bestehen unterschiedliche Auffassungen. Fakt ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich auch in der jüngsten Zeit in der Schweiz zunehmend weiter öffnet.
Morgen: Als Sozialstaat gilt ein Staat, der in seinem Handeln als Staatsziele soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit anstrebt, um die Teilhabe aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten. Er verpflichtet sich, in seiner Gesetzgebung und der Verwaltungstätigkeit für einen sozialen Ausgleich der Gesellschaft zu sorgen. Dies im Sinne der Präambel der Bundesverfassung sowie zahlreicher Kantonsverfassungen, wonach die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.
Angesichts des Mengengerüsts relativer Armut in der Schweiz sei mit Blick auf das geltende Recht von Bund und Kantonen die Frage aufgeworfen, ob diese Armut aus institutioneller Perspektive den rechtlichen Vorgaben zu entsprechen vermag, sie ritzt oder gar verletzt. Denn über die Präambeln der Verfassungen von Bund und Kantonen existieren Grundrechtskataloge, zu deren Regelungen gewisse Folgen der Armut in einem latenten Spannungsverhältnis stehen.
Daher sollen Wege aus der Armut aufgezeigt werden, welche mit grundrechtlich geschützten Ansprüchen wie insbesondere der Menschenwürde, Rechtsgleichheit, dem Schutz der Kinder und Jugendlichen, dem Recht auf Hilfe in Notlagen und dem Recht auf Ehe und Familie im Einklang stehen. Wege auch, die aufzeigen, wie die die Realisierung dieser Ansprüche in einem Gemeinwesen möglich ist, das in fairer Weise der Chancengleichheit und sozialen Teilhabe seiner gesamten Einwohnerschaft den gebührenden Stellenwert einräumt.
Vier ausgewiesene Fachpersonen werden an dieser letzten Veranstaltung aus der Reihe «Menschenrechte dort, wo es weh tut» zu dieser Thematik referieren.